Unterwegs zu Cecilia | Achter Teil

valentino

Illustration: Valentino

Ich nahm ein gelbes Taxi an der Kreuzung Avenida Constitución und Carrillo Puerto und zahlte dem Fahrer fünf Pesos. Wir fuhren los. Auf Höhe der Zona Norte lag zwischen der Metallwand und San Ysidro, der ersten Siedlung auf der anderen Seite, ein mehrere Kilometer breiter sandiger Streifen, auf dem vereinzelt Sträucher wuchsen. Danach passierten wir eine tiefe Schlucht, dessen Hänge mit Hütten übersät waren.

In Playas stieg ich aus und ging zu Fuß weiter. Die Skyline von San Diego mit der Coronado-Brücke lag als spielzeuggroße Silhouette in einiger Entfernung hinter dem Grenzzaun im Dunst am Horizont. Die rostfarbene, metallene Wand ragte auf Holzpfählen dreißig Meter ins Meer. Über der Wasseroberfläche hingen kleine weiße Wolken am blauen Himmel.

Ich lief hinunter zum Strand. Irgendwo auf der anderen Seite würde sich Cecilia befinden. Doch bis Portland war es ein weiter Weg und ich müsste noch eine Nacht in Tijuana bleiben, bevor ich die Grenze überqueren würde. Mit diesem Ziel vor Augen kehrte ich auf die Promenade zurück und aß bei einem Imbiss-Wagen Garnelen-Tacos.

(c) valentino 2020

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Unterwegs zu Cecilia | Erster Teil

valentino

Illustration: Valentino

Narcisa und ich waren eine Station zu früh aus dem Bus ausgestiegen. Es war auch keine Station in dem Sinne, dass es dort eine Haltestelle mit Schild und Wartehäuschen gegeben hätte. Stattdessen hatte der Bus vor einem Wohnhaus am Straßenrand gehalten. Eine flache Steinmauer umgab einen Hof, auf dem im Wind Wäsche trocknete. Die vorbeifahrenden Fahrzeuge wirbelten Staub auf.

Am Nachmittag erreichten wir die Basilika. Sie lag in einem Labyrinth aus verwinkelten, kopfsteingepflasterten Gassen in Trastevere, am Ufer des Tiber. Wir gelangten durch das Tor des Eingangsgebäudes auf den Innenhof. Vor uns ragte der Kampanile in den leicht bewölkten blauen Himmel. Wasser plätscherte aus einem Springbrunnen in ein Becken mit einer großen Henkelvase. Wir schritten durch den Portikus unter dem Architrav und betraten den kühlen Innenraum.

Im Nachhinein tauchen die Bilder in meinem Bewusstsein auf: Raffaels Dame mit Einhorn in der Galleria Borghese auf dem Pincio und die Transfiguration, wie sie Wackenroder in seinen Herzensergießungen beschrieben hatte, oder Leonardos unfertiger Hieronymus in den Vatikanischen Museen. Doch keines dieser Kunstwerke sollte die vollkommene Schönheit des Werkes erreichen, das ich vor einer scheinbaren Ewigkeit in jenem lange vergessenen Sommer in der Basilika erblickte.

(c) valentino 2020

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geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | dritte kanzone | 1

belmonte

dritte kanzone

1

in dunklin hatte ich einen traum
der legte sich auf mich wie weiches haar
ich fühlte meine schwere kaum
als ich ein engelin niederfahren sah
und innehalten über mir
ich wüsste nur wie sie mich fand
und führte mich im traumland
wo ich mich nahe setzte ganz zu îr
hin unter einem lebensbaum
das war der weg den sie mir aufgespart
und alles was aus îrem arm geschah
war himmel der sich auftat

(c) belmonte 2012

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geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | zweite kanzone | 3

belmonte

zweite kanzone

3

lilium

© valentino 2012

hat sich der himmel umgekehrt
und aus verdüsterung getan
was auf verkündigung ich hingehört
ob ich den cherub iemals sehen kann
und wann die lilje mir gefällt
wanns lichterkind zum himmel fährt
mich angesehn wär ich damit gemeint
den tod in diese welt gestellt
und todeskinder sähe ich dann
wer wärs darüber hätte nicht geweint
der um der lilje lag in düsterkrone
den tod zu überwinden lilje innewohne

(c) belmonte 2012

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geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | zweiter gesang | 37 bis 40

belmonte

zweiter gesang

37 worüber hier mein gesang wovon ich sage
sind die verlornen geschichten von der art
der schweifsterne die unter den himmeln streichen
in den bahnen die von den sphären getragen

38 werden und nach îrer glanzerfüllten fahrt
in den abgründen der dunkelheit verbleichen
und verlöschen von dem land aus dessen bunde
begann was noch lange nicht erschlossen war

39 bis die ersten menschen kamen îre zeichen
darauf zu setzen die von îrem gott künden
an diesen gottesfürchtigen menschen hält
sich das licht wann einst auch îre blicke reichten

40 über das gelobte land das sie gefunden
soweit îre augen es schauten es fällt
in die dunkelheit aber licht wird sein stand
licht das einst aus schunemydala entstünde

(c) belmonte 2012

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geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | erste kanzone | 1

belmonte

erste kanzone

1

© valentino 2012

einer rose schœner bunden
spiegel funkelnder sterne zu sehn
unter lichterglanz gefunden
lichtgeborne dein schimmerne schön
aus der nacht in dunkler schoß
auf deiner blütender träne aus licht
mondeschien der rose bloß
anderer blume als schiene er nicht
rose der nacht himmel umwacht
deiner nähe zur suesze bracht
höher dein gang nächtiner lang
unter der wölben swærer verhang
rosenpracht himmel erdacht
setzt dich hinnen der finsternacht
blütender töne reifer gesang
keiner rose schœner funden
keiner rose um tiefer zu wehn
seh dein blühen stund um stunden
einer rose in dunkelin stehn

(Kontrafaktur auf S’Amour dont sui espris von Gautier de Coincy)

(c) belmonte 2012

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geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | erster gesang | 17 bis 20

belmonte

erster gesang

17 jäh beginnt da die kahle erde zu beben
über mir tun sich die himmel auf ich bin
von angst und zittern erfasst und falle nieder
in das licht der da jetzt steht gibt mir mein leben

18 wieder und spricht ich bin der vor anbeginn
schon da war niemals war ich von dir geschieden
ich bin durch den alles seiende ist ohne
mich ist nichts das war oder wird aus mir sind

19 die sichtbaren und die unsichtbaren glieder
erhebe dich dass lehre vom gottessohn
und erkenntnis dir werde von einer anderen
zeiten ewigkeit in der das licht nicht wider

20 im schatten sich spiegelt der weisheit zu hœhnen
viel hast du gelernt und warst doch außer stande
den ganzen menschen zu sehen und den tiefen
gang durch das dunkle reich wo die sêlen stöhnen

(c) belmonte 2011

© valentino 2011

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Brief aus Eiderstedt

belmonte

brief aus eiderstedt

langer weg mit schafkot
salzwiesen
kanäle und draußen das meer
die landschaft öffnet sich vor dem entgrenzten blick
wo kein land ist
ist nichts
und wolken und ferne regengüsse
ein leuchtfeuer
das die verlorenheit eingrenzt in der übergangslosen weite
riesige vogelschwärme
die sich überlagern
trennen
und in unterschiedlicher richtung auseinanderfliegen
tief über dem land
hoch oben dann
und kleine schwärme
die in der ferne dem blick entschwinden

draußen im schlick
wer genau hinhört
hört den gesang der vögel von allen seiten
der himmel ist grau
im nebel ist nichts mehr zu erkennen
wann der blick im nirgendwo endet
nicht zu erahnen
wo das wasser beginnt
der himmel beginnt 

vor hunderten von jâren war hier eine stadt
die von der sturmflut verschluckt wurde
sand und schlick bedecken heute den ort
an dem einmal häuser standen und türme und mauern
manchmal
wenn der wind stark ist
hört wer das läuten der untergegangenen glocken
und wer sich da draußen verirrt
stößt manchmal auf alte mauerreste
die aus dem schlick ragen
bis die flut kommt

vögel aus arktischen regionen
die auf îrem weg in den süden mehrere wochen station machen hier
es sind abertausende

Salzwiesen St. Peter-Ording / Foto: Belmonte

(c) belmonte 2011

geheimschrift des iohanan vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht | erster gesang | 1 bis 4

belmonte

erster gesang

1 diese ist die geheimschrift des iohanan
vom aufstieg aus dem dunkelen reich ins licht
verborgene worte wer sie je gehört
gesang der nicht gefunden wurde im sand

2 dies ist das buch aus dem verlorenes spricht
wiedergefundenes durch die himmel fährt
aus blauen flammen die in die höhe schlugen
blauernes feuer wanns aus der erde bricht

3 aus zeiten engel über den göttern währten
götter sich aus den steinen der götzen trugen
und füchse und biber mit den menschen sprachen
feuervögel îrer flügel himmel kehrten

4 meer aus flüssen stieg über meere wogen
gebirge sich erhoben aus heißer rachen
und schlangen aus denen sieben köpfe fuhren
tage und nächte um nacht und tag betrogen

(c) belmonte 2011

© valentino 2011

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