Ariane Barth: Im Rotlicht – Das explosive Leben des Stefan Hentschel (Rezension)

Im_Rotlicht

Wir freuen uns über eine weitere Rezension unseres Partner-Blogs „Die Nacht der lebenden Texte“. Diesen Text hat der Blogger persönlich geschrieben.

Biografie // Hast du’n Problem? Geh weiter! … Backpfeife! … Noch ’n Problem? Besser isses!

Wer kennt sie nicht, die legendäre Szene aus der Doku „Der Boxprinz“ (die allerdings nicht von Stefan Hentschel handelt, sondern von Norbert Grupe)? Wenn auf jemanden das Attribut schillernd zutraf, dann auf Hentschel, den Rotlichtpaten, den Zuhälter, die Kiezgröße, den Frauenversteher. Schillernd hin oder her, sein Ende war es weniger. Autorin Ariane Barth schreibt in einer späteren Auflage 2007 in einem Nachtrag: Stefan Hentschel genoss nach der Veröffentlichung seiner Lebensbeichte das Interesse der Medien. (…) Im Gegensatz zu seinen meist strahlenden Auftritten (…) stand sein Scheitern (…) Am 18. Dezember 2006 erhängte sich Stefan Hentschel im Boxkeller der „Ritze“. Für seine letzte Inszenierung wählte er sein „zweites Wohnzimmer“.

Recherche im Rotlicht

Der Klappentext zu „Im Rotlicht“ verrät, wie es zur Entstehung des Buchs kam: Die Autorin traf Hentschel bei Recherchen in St. Pauli. Anscheinend fanden die Publizistin und die bullige Kiezgröße einen Draht zueinander – so entstand die Idee seiner Lebensbeichte. Als feines Stilmittel erweist sich die Entscheidung, Hentschel in der Ich-Form als Erzähler fungieren zu lassen. Ariane Barth gelingt es, Hentschels Jargon in ihre Schreibe zu übertragen. Dass er es nicht selbst geschrieben hat, davon darf wohl ausgegangen werden, zumal er keine Autoren-Credits kriegt.

Der Lude und die Prinzessin

Es beginnt schon bei der Anrede: „Prinzessin“ nennt er Ariane Barth von der ersten Zeile bis zum letzten Kapitel. Ist das jetzt verniedlichend oder respektvoll? Vielleicht auf eine besondere Hentschel-Weise beides. Hentschel erzählt von der DDR-Kindheit, aufgewachsen in Sachsen, untergekommen bei Oma und Opa, nachdem erst der Vater in den Westen rübergemacht und dann die Mutter und den kleinen Bruder nachgeholt hat.

Mit neun gelangt dann auch Stefan nach Hamburg, leichter wird es dadurch nicht. Prügel gibt es hüben wie drüben. Heimaufenthalt, üble Erlebnisse – von Pädagogen kriegt er ’nen „Kackreiz“. Während der Bundeswehrzeit dann der erste Kontakt mit St. Pauli, dem Rotlichtmilieu. Zwischendurch verdingt er sich als Fernfahrer, doch über den ersten Job in der „Amigo-Bar“ geht die Kiez-Karriere schnell steil bergauf. Bis die ersten Frauen für ihn anschaffen, ist es kein weiter Weg mehr.

Was ist ein „Hügel“?

Man muss aufpassen, bei der Lektüre nicht dem Charme zu erliegen, den der Bericht verströmt. Vieles liest sich geradezu romantisch. Von unterdrückten Frauen, die für ihren Luden auf den Strich gehen, liest man zwar, aber es liest sich wie eine Parallelwelt. Sie scheinen gern ihren „Hügel“ bei Stefan abgegeben zu haben, wie die Geldhaufen offenbar in der Halbwelt genannt worden sind. Die Polizei nennt er übrigens Schmiere, niemals Bullen.

Die Kiez-Prominenz wird erwähnt, logisch: Ringo Klemm, der Wiener Peter, die Nutella-Bande, auch Mucki Pinzner, der Auftragskiller, der auf Hentschel angesetzt wird, bevor er Mitte 1986 im Hamburger Polizeipräsidium seine Frau, einen Staatsanwalt und dann sich selbst erschießt.

Der gesellschaftliche Abstieg

Prostitution, Gewalt, Mord, Drogen, Sex, Luxus – das ganze Programm bekommen wir von Ariane Barth mit leichter Schreibe serviert. Immerhin hat Hentschel ihr gegenüber nicht seinen Abstieg ausgespart, den Gang zum Arbeitsamt, die wenig mondäne Leitung der Putzkolonne eines Altenheims. Er hat ihn wohl nie verkraftet.

Erfahren wir die Wahrheit? Wohl kaum. Vielleicht ist es ein bisschen Hentschels Wahrheit. Wie er sich selbst sah, das mag aus seiner Lebensbeichte zum Teil hervorgehen. Er wird womöglich an der einen oder anderen Stelle strafrechtlich Relevantes verschwiegen haben müssen, um sich selbst oder alte Weggefährten nicht zu belasten.

Zwischen Kiez-Fantasie und Geschlechterrollen

Manche Abschnitte wirken märchenhaft, wie eine Kiez-Fantasie. Andere Kapitel sind deutlich rauer, dann spürt man zwischen den Zeilen, dass nicht alles Gold ist, was dort glänzt (und es glänzt vieles). Wer als Leser zu sehr in Gefahr gerät, der Faszination von Hentschels Bericht zu erliegen, möge sich vor Augen führen, wie dort die Geschlechterrollen verteilt sind: Die Männer sind die Macher, die Frauen das Material. Das nimmt „Im Rotlicht – Das explosive Leben des Stefan Hentschel“ nicht den großen Unterhaltungswert, den es hat, aber es rückt einiges wieder gerade. Und wer nach der Lektüre eine Zuhälter-Karriere anstrebt, dem ist sowieso nicht zu helfen.

Autorin: Ariane Barth
Veröffentlichung: 11. Mai 2005
Verlag: Ullstein Taschenbuch

Copyright 2015 by Volker Schönenberger

Ein Gedanke zu “Ariane Barth: Im Rotlicht – Das explosive Leben des Stefan Hentschel (Rezension)

  1. Hat dies auf Die Nacht der lebenden Texte rebloggt und kommentierte:

    Stefan Hentschel anyone? Genau – das ist der breitschultrige Kerl, der einem Neugierigen auf der Großen Freiheit kurzerhand eine mächtige Ohrfeige verpasst hat. Das Ende der Kiezgröße von St. Pauli war unrühmlich. Der ehemaligen „Spiegel“-Reporterin Ariane Barth hat Hentschel seinerzeit aus seinem Leben erzählt, was sie zu einem lesenswerten Buch verarbeitete. Vor einiger Zeit habe ich es auf unserem Partner-Blog vnicornis rezensiert, nachzulesen hier:

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.