Versunkene Welt – Ein erstaunlich vergessener Film (Filmrezension)

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The Lost World

Gastrezension von Ansgar Skulme von unserem Partner-Blog Die Nacht der lebenden Texte (und stellvertretender Chefredakteur von „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“)

SF-Fantasy // Abenteuerlich und absurd erscheint es den geladenen Gästen, als Professor Challenger (Claude Rains) auf großer Bühne verkündet, in den Untiefen des südamerikanischen Urwaldes Dinosaurier entdeckt zu haben. Vor allem sein Konkurrent Summerlee (Richard Haydn) verlacht den kauzigen alten Mann. Doch als sich der Abenteurer Lord Roxton (Michael Rennie) bereit erklärt, an einer von Challenger angeregten Expedition teilzunehmen und der Global News Service für die Beteiligung des Journalisten Ed Malone (David Hedison) eine saftige Geldsumme entrichten will, kommt auch Summerlee nicht mehr umhin, sich in das Amazonas-Gebiet zu wagen. Mit Hilfe zweier Ortskundiger und begleitet von zwei weiteren Abenteuerlustigen, darunter eine Frau, die nicht locker lassen bis man sie nicht mehr wegschicken kann, ist das Ziel schon bald erreicht und es dauert nicht lange bis auch der erste Dino durchs Dickicht stampft.

Auf dem Weg zum zweiten Durchbruch

„Versunkene Welt“ war 1960 erst der zweite Spielfilm von Irwin Allen, der 1953 für die Doku „Geheimnisse des Meeres“ („The Sea Around Us“) einen Oscar gewonnen hatte. Den Sprung ins dramatische Fach vollzog er 1957 mit „The Story of Mankind“, der durch seine großartige Besetzung und als letztes gemeinsames Projekt der drei Marx Brothers Groucho, Chico und Harpo Bekanntheit erlangte, inhaltlich aber kaum positive Kritiken erntete und trotz seines Star-Ensembles nie eine deutsche Fassung erhielt. Da half auch die ambitionierte Story um den Widerstreit des Teufels (Vincent Price) mit dem guten Geist der Menschheit (Ronald Colman) nichts. Irwin Allen blieb der Fantasy und Science-Fiction dennoch treu, widmete sich diesen Genres über seine gesamte Filmkarriere hinweg beinahe exklusiv.

Fast echte Dinosaurier

Es mutet etwas kurios an, dass ausgerechnet Allen, der ehemalige Dokumentarfilmer, die Dinosaurier in „Versunkene Welt“ mit Stop-Motion realisiert sehen wollte und es schließlich nur aus finanziellen Gründen zu einer Umsetzung mit echten Waranen kam, die gewissermaßen als Dinosaurier verkleidet wurden. Man hätte denken können, er habe auf diese relativ realistische Darstellung bestanden, doch so war dem nicht. Trotz der Tatsache, dass man natürlich weiß, dass es sich um andere Tiere handelt, wohingegen animierte Figuren tatsächlichen Dinosauriern wahrscheinlich ähnlicher gesehen hätten, haben die realistischeren Bewegungsabläufe echter Tiere im Vergleich zu animierten einen durchaus positiven Effekt auf den Film. Dass die Dinosaurier von anderen Tieren verkörpert werden und nicht animiert worden sind – abgesehen davon, dass die Größenverhältnisse durch Trickaufnahmen verschoben wurden –, macht „Versunkene Welt“ zu einer besonderen Produktion. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus von einer Art Alleinstellungsmerkmal reden, welches diesen Film ungewöhnlich und daher herausragend macht. Sicher ist die Inszenierung der Tiere teils etwas behäbig, die „Kostümierung“ der Warane als Dinosaurier hätte etwas liebevoller vollzogen werden können, aber immerhin: Es sind Lebewesen als Dinosaurier zu sehen.

Die Vorwehen der Cleopatra

Da „Versunkene Welt“ im Sommer 1960 veröffentlicht wurde, ist es durchaus erschreckend, sich zu vergegenwärtigen, dass die Sparmaßnamen schon bei der Produktion von dem erst 1963 erschienenen Epos „Cleopatra“ bedingt wurden – dessen Budget war bereits 1960 außer Kontrolle geraten. Selbst obwohl Hollywood mit seinen Jules-Verne-Verfilmungen der 50er-Jahre gute Erfahrungen gemacht hatte und „Versunkene Welt“ gewissermaßen als Teil dieser angehenden Erfolgsreihe produziert wurde, hatte der Film keinen ausreichenden Sonderstatus, um hinsichtlich des Budgets von „Cleopatra“ unbehelligt zu bleiben.

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Ob die Sparmaßnahmen auch der Grund dafür waren, dass sich mit Michael Rennie und David Hedison zwei Schauspieler die Führungsrolle teilen, die damals zwar bekannt und hauptrollenerprobt, aber nicht unbedingt große Stars waren, während „20.000 Meilen unter dem Meer“ Kirk Douglas und „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ James Mason als Headliner ins Feld führte, ist nicht einfach nachzuweisen. Es ist jedoch auffällig, dass „Versunkene Welt“ ein wenig daran krankt, keine einzige Figur zu präsentieren, mit der man sich wirklich identifizieren kann. Mit Abstrichen ist davon der kauzige Professor Challenger auszunehmen, der von Claude Rains recht sympathisch dargestellt wird, genau genommen bleiben jedoch alle Expeditionsteilnehmer oberflächlich.

Die Handlung hätte außerdem mehr Höhepunkte verdient gehabt. All dies ist in erster Linie ein Problem des Drehbuchs und weniger den Schauspielern geschuldet. Der Film ist recht schnörkellos, wirkt manchmal sogar etwas hektisch, was für Produktionen, die in Fantasy-Welten spielen, eher ungewöhnlich ist, wo man die Settings in der Regel lieber zu viel als zu wenig auskostete.

Das Vermächtnis des Sir Arthur Conan Doyle

Die von Sherlock-Holmes-Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle erdachte Geschichte entpuppt sich schließlich aber als so eingängig, dass man dem Werk seine Schwächen gern verzeiht. Hektisch ja, aber daher auch nicht langweilig. Beinahe echte Dinosaurier und ein in der Breite doch recht gut aufgestelltes Ensemble – wenn auch ohne schillernden Superstar – geben dieser Produktion letztlich Wiedererkennungswert. Vielleicht ist dabei auch durchaus hilfreich, dass man die Story von Anfang an als albernen Quatsch verorten kann und somit gar nicht erst in Versuchung gerät, zu hohe Ansprüche an die Realitätsanbindung der Science-Fiction zu stellen. Der Film macht nie den Eindruck „sich selbst zu ernst zu nehmen“, wie man es heutzutage immer so schön formuliert – als habe ein Film ein eigenes Bewusstsein. Dass es mitten im Regenwald, wenn man nur weit genug vordringt, plötzlich Dinosaurier geben soll, die sich aus diesem Gebiet aber auch nicht entfernen, ist schon reichlich an den Haaren herbeigezogen – das dürfte selbst den Lesern zu Conan Doyles Lebzeiten bewusst gewesen sein. Aber das ist eben das Schöne an Science-Fiction: Wie hoch der Realitätsgehalt ist, ist beinahe völlig egal. Am Ende geht es nur darum, ob eine angemessene Mischung aus Unterhaltungswert und Spannung gefunden wurde und ob eine Verbindung zwischen Wahrheit und Fiktion gelingt, und sei es nur an einem kurzen Verbindungspunkt. All dies ist hier der Fall. Und zudem ist das Ende sehr versöhnlich, mit einer netten, charmant inszenierten, lustigen Pointe und einem guten Schlussbild.

Erste Tonfilm-Version des Romans

Kinder der 90er-Jahre wurden mit dem Kinofilm „Die verlorene Welt“ (1992) mit John Rhys-Davies, dessen Sequel, einer weiteren Verfilmung mit Patrick Bergin (1998) sowie der gleichnamigen TV-Serie (1999–2002) groß. 2001 folgte darauf noch ein Zweiteiler mit Bob Hoskins, James Fox und Peter Falk. Kaum zu glauben, dass es die Story davor nur zweimal im Kino zu sehen gab: in einem Stummfilm mit Wallace Beery von 1925 und eben Irwin Allens erster Tonfilm-Version von 1960.

Top 5 mit Augenzwinkern

Ich gebe zu: Dass ich „Versunkene Welt“ in meine Top 5 in Ausgabe 11 von „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ zum Thema Science-Fiction platziert habe, hat neben der Tatsache, dass ihn die „echten“ Dinosaurier ziemlich einzigartig machen, in erster Linie einen Grund: Ich halte es für ebenso schade wie unerklärlich, dass er in Deutschland noch nicht auf DVD erschienen ist – im Gegensatz zu den USA, aber auch anderen Ländern Europas. Vor allem die Nähe zu den beliebten klassischen Jules-Verne-Verfilmungen der 50er- und 60er-Jahre und die Verbindung zu den nicht wenigen, teils recht bekannten Neuverfilmungen von Conan Doyles „The Lost World“ wirft die Frage auf, warum sich hierzulande bisher niemand ausreichend um eine Veröffentlichung dieser Verfilmung von 1960 bemüht hat – eine digital remasterte Originalversion existiert ja. Die „Versunkene Welt“ scheint in den Untiefen der deutschen Filmarchive geradezu versunken zu sein – verloren allerdings nicht, denn auf Sky Nostalgie und dem Free-TV-Sender Das Vierte wurde der mit einer durchaus hörenswerten zeitgenössischen Synchronisation ausgestattete Film innerhalb der vergangenen zehn Jahre vereinzelt ausgestrahlt.

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„Versunkene Welt“ ist zweifelsohne einer der besten und epischsten klassischen Genrebeiträge, die es bei uns trotzdem noch nicht auf DVD geschafft haben, auch wenn sicherlich viele bereits veröffentlichte Filme des Genres besser sind als dieser. Insbesondere was Literaturverfilmungen anbelangt, dürfte er unter den in Deutschland bislang nicht auf DVD erschienenen Genrebeiträgen des Classical Hollywood hinsichtlich Qualität und Produktionsvolumen weitestgehend konkurrenzlos sein – es ist wohlgemerkt ein Film von 20th Century Fox und das sieht man ihm auch an.

Vergessener Film eines vergessenen Genre-Veterans

Irwin Allen lieferte mit „Unternehmen Feuergürtel“ und „Fünf Wochen im Ballon“ 1961 und 1962 noch zwei weitere Kinofilme ab, die bei uns auch bereits auf DVD erschienen sind, ehe er sich zunächst der Produktion der Serie „Die Seaview“ widmete, die auf eben jenem „Unternehmen Feuergürtel“ basiert. Danach wurde er anderweitig fürs TV tätig. Ins Kino kehrte Allen erst in den 70er-Jahren zurück, unter anderem als Ko-Regisseur beim Katastrophenfilm-Meisterwerk „Die Höllenfahrt der Poseidon“. Für Science-Fiction an der Schnittstelle zur Fantasy war er in den 1960er-Jahren sicher einer der bedeutendsten Regisseure.

Veröffentlichung: 1. Juni 2015 als Blu-ray und DVD (GB), 11. September 2007 auf DVD (USA)

Länge: 97 Min. (Kino)
Altersfreigabe: FSK 12
Originaltitel: The Lost World
USA 1960
Regie: Irwin Allen
Drehbuch: Charles Bennett, Irwin Allen, nach einem Roman von Arthur Conan Doyle
Besetzung: Michael Rennie, Jill St. John, David Hedison, Claude Rains, Fernando Lamas, Richard Haydn, Ray Stricklyn, Jay Novello, Vitina Marcus, Ian Wolfe
Verleih: 20th Century Fox

Copyright 2015 by Ansgar Skulme
Packshots GB: © 101 Films / Packshot USA: © Fox Home Entertainment

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